Ice Patches im Silvrettagebirge (CH/A).

Bedrohte Archive zu Kommunikationswegen und hochalpiner Landschaftsnutzung.

Leandra Naef, Patricia Hubmann, Urs Gut, Julia Bucher

5.3 Prospektions-empfehlung


Abstract

Im Rahmen des Forschungsseminars „Landschaftsarchäologie“ setzte sich die Projektgruppe eine Kartierung von Ice Patches (permanenten Eisfeldern) mit erhöhtem Fundpotenzial zum Ziel. Diese Fundarchive sollen für die Beantwortung von Fragen zur prähistorischen und historischen Landschaftsnutzung - im Speziellen zu Kommunikationskorridoren und zur Ausbeutung von Jagdressourcen - in einer hochalpinen Region erschlossen werden, bevor sie der Zerstörung bzw. dem Abschmelzen zum Opfer fallen.

Das untersuchte Gebiet ist Teil der Silvretta und umfasst den Übergangsbereich zwischen den drei Tälern Val Urschai/Val Tasna, Val Fenga/Fimbatal und dem Jamtal. Um das Fundpotenzial von Ice Patches in diesem Gebiet abschätzen zu können, wurde ein auf Literaturrecherchen und Expertenwissen basierender Kriterienkatalog erstellt. Erfasst wurden Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen von Funden und deren Erhaltung in Ice Patches beeinflussen. Die Visualisierung dieser Faktoren bzw. Kriterien fand, soweit möglich, mit dem Programm ArcGIS statt. Luftbilder, Geländemodelle, historische Gletscherstände, topographische Karten sowie moderne und historische Wegkarten bildeten die Grundlage für die Kartierung. Das Resultat ist eine Prospektionsempfehlung für die im Rahmen des „Rückwege“-Projektes in diesem Sommer geplante Feldbegehung.

1. Einleitung

Der vorliegende Artikel ist das Ergebnis einer Gruppenarbeit im Rahmen des Forschungsseminars „Landschaftsarchäologie“. Dieser Theoriezweig der Archäologie versteht Landschaft nicht nur als Summe umweltspezifischer Gegebenheiten (Ressourcen, Topographie, Klima usw.), sondern versucht Landschaft auch als gesellschaftliche Konstruktion zu erkennen (Meier 2009, 697). Die Grundlage dafür bildet die räumliche Strukturierung der Landschaft. Sie ist zum einen durch naturräumliche, topographische Gegebenheiten vorgegeben, zum anderen erhält sie ihre gesellschaftsspezifische Bedeutung durch Handlungen, die ihrerseits ebenfalls physische Strukturen (Architektur, Deponierungen usw.) in der Landschaft hinterlassen können (Gramsch 2003, 48-51).

Ausgehend von den bisher in der Silvretta unter der Leitung von Thomas Reitmaier erzielten Ergebnissen des „Rückwege“-Projektes hatte die Arbeit der Gruppe zum Ziel, landschaftsarchäologische Fragestellungen zu entwickeln, methodische Verfahrensweisen aufzuzeigen und Erkenntnispotenziale zu bezeichnen.

Das erwähnte Projekt konzentriert sich primär auf die Frage nach dem Ursprung der Alpwirtschaft in der Schweiz. Doch auch die Erforschung anderer Szenarien der alpinen Landschaftsnutzung (Handel, Verkehr, Wirtschaft, Kult usw.) steht auf dem Programm. Bisher wurden diese unterschiedlichen Nutzungsszenarien vor allem unterhalb von 2600 m ü. M. untersucht (Reitmaier 2010, 15-16).

Die Seminargruppe stellte sich deshalb die Frage, was für landschaftliche Nutzungsszenarien oberhalb dieser Höhe vorstellbar sind und wie diese erforscht werden könnten. Die Nutzung von Verkehrswegen, insbesondere von hochgelegenen Passübergängen, sowie die Bejagung von Wild stellen zwei mögliche Szenarien dar, welche historisch und prähistorisch nachgewiesen sind (siehe Kapitel 2). Sie wurden deshalb ins Zentrum des Forschungsinteresses gestellt. Als nächstes blieb zu klären, woher Informationen zu diesen Aspekten der Landschaftsnutzung gewonnen werden könnten.

Die zum Teil vergletscherten Gebirgszüge der Silvretta verfügen über zahlreiche, permanente Schnee- und Eisfelder (Ice Patches). Die Bedeutung alten Eises als archäologisches, paläobiologisches und klimatologisches Archiv wurde erst in jüngster Zeit national (Suter et al. 2005; Grosjean et al. 2008; Hafner 2009) und international (Farnell et al. 2004; Dixon et al. 2005; Vanderhoek et al. 2007a) wahrgenommen. Obwohl seit der Entdeckung der berühmten Gletscherleiche „Ötzi“ bereits 20 Jahre vergangen sind, blieb eine weiträumige, systematische Erforschung der alpinen Ice Patches bisher aus. Neuentdeckungen wie die Funde vom Schnidejoch blieben die Ausnahme.

Für die Erforschung der landschaftlichen Nutzungsszenarien „Kommunikationswege“ und „Jagd“ eignet sich das Archiv „Ice Patch“ aus zwei Gründen: Zum einen können Ice Patches an Passübergängen und Wegen liegen, wo mit allerlei Verlustfunden, wie Gebirgsausrüstung und Kleidungsresten, oder gar mit den menschlichen Überresten von Verunfallten zu rechnen ist (Suter et al 2005; Hafner 2009). Zum anderen stellen Ice Patches im Sommer eine Rückzugsmöglichkeit für Jagdwild (Steinbock, Gams, Rotwild) vor Hitze und Insekten dar (Nievergelt 1966; Haller 2002; Baumann et al. 2005). Die Bejagung des Wildes an diesen Plätzen könnte zum Verlust von Objekten wie Geschossen, Waffen und Werkzeugen geführt haben.

Angesichts der akuten Bedrohung der Ice Patches in Folge des weltweiten Klimawandels sowie ihres Potenzials als Archiv für die Erforschung der oben erwähnten Szenarien der Landschaftsnutzung wurde entschieden, die Ice Patches der Silvretta für die Archäologie zu erschliessen.

Für die Durchführung dieses Vorhabens sind folgende zwei Fragen zentral: Wie lässt sich das Fundpotenzial von Ice Patches abschätzen, und wie können diese Funde effizient gerettet werden? Hier wurden anhand von Literaturrecherchen und Experteninterviews Kriterien erarbeitet, welche schliesslich eine Bewertung des archäologischen Fundpotenzials erlaubten. Die in diesem Artikel präsentierte Kartierung der so bewerteten Ice Patches ist als Prospektionsempfehlung zu verstehen, deren Wert sich im Sommer 2011 im Zuge einer bereits geplanten Begehung des Untersuchungsgebietes prüfen lässt.

Abb.1: Nouvelle carte du pays des Grisons 1724. Ausschnitt. In der oberen Hälfte mittig ist das Silvrettagebirge zu sehen.

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2. Forschungsgebiet

Die alpine Region der Silvretta war wohl, allein schon durch die Topographie bedingt, in allen Zeiten eine „Region am Rande“, abseits der grossen Verkehrs- und Kommunikationsachsen durch die Alpentäler. Auch auf historischen Karten liegt die Silvretta immer im Grenzgebiet territorialer Einheiten, seit dem späten Mittelalter verlief dort sowohl die Aussengrenze des Freistaates der drei Bünde (heute Graubünden) wie auch die Trennung zwischen dem Gotteshausspundt und dem Zehengerichtenpundt (z.B. Atlas maior 1665, Nova helvetiae 1712, Nouvelle carte du pays des Grisons 1724, Raetia Foederata 1740-1760, Abb. 1). Seit Ende des 18. Jh. verläuft an dieser Stelle die schweizerisch-österreichische Landesgrenze (z.B. Atlas suisse 1786-1802 und jüngere). Die direkt in historischen Schriftquellen (zusammenfassend Gross 1975) wie auch indirekt durch prähistorische und historische archäologische Fundstellen (v.a. Reitmaier 2010) belegte Nutzung der Passübergänge zwischen den Hochalpentälern zeigt, dass wir es aber durchaus bereits seit frühester Zeit mit einem regionalen Kommunikationsnetz zu tun haben.

Das für die Kartierung ausgewählte Gebiet innerhalb der Silvretta (Abb. 2) umfasst mit einer Fläche von ca. 120 km2 (Kartierung der Ice Patches auf 30 km2) den Bereich, in dem die drei hochalpinen Täler Val Urschai (als Fortsetzung des Val Tasna) von Süden her, sowie das Val Fenga/Fimbatal und das Jamtal von Norden her, aneinanderstossen. Durch diese Täler und über die Passübergänge dazwischen (Futschölpass, Kronenjoch, Zahnjoch, Fuorcla da Tasna) ergibt sich eine Verbindung zwischen dem tirolerischen Paznaun und dem bündnerischen Unterengadin.

Abb. 2: Das weitere Untersuchungsgebiet mit den bisher durch das „Rückwege“-Projekt der Universität Zürich dokumentierten Fundstellen (Zusammenstellung nach Daten von Th. Reitmaier). Passübergänge sind mit roten Dreiecken bezeichnet. Der Rahmen bezeichnet das Gebiet der Kartierung.

Die historisch belegte Nutzung der Weiden im oberen Val Fenga / Fimbatal durch die Bewohner von Sent und Ramosch im Unterengadin ist noch heute an den Flurnamen und noch viel deutlicher an der Landesgrenze sichtbar, die quer durchs Fimbertal verläuft und in der sich althergebrachte Weiderechte erhalten haben. Gründe für die Bewirtschaftung von Gebieten jenseits des Silvretta-Hauptkammes waren sicherlich die gut gangbaren Übergänge zwischen den Tälern sowie die erst ab dem Hochmittelalter erfolgte dauerhafte Besiedlung des Paznaun (Gross 1975, 23ff.) Eine regelmässige Überquerung sogar der vergletscherten Passübergänge mit der gesamten Viehherde auf dem Weg zur Sommerweide ist beispielsweise vom Val Tuoi über den Vermuntgletscher ins Ochsental belegt (Gross 1975, 80). Man kennt auch aus dem Bereich verschiedener Pässe der Silvretta Verlustfunde wie Hufeisen und Schneeschuhe aus historischer Zeit (Gross 1975, 57f.).

Abb. 3: Die Fundstelle auf Plan da Mattun im Val Urschai. Im Hintergrund der Futschölpass. Bild Th. Reitmaier.

Abb. 4: Silexpfeilspitze mit Resten von Birkenpech. Plan da Mattun, Val Urschai, 6. Jahrtausend v. Chr. Aus Reitmaier 2010, 28.

Die Bedeutung der einzelnen Pässe variierte durch die Zeit. Grund dafür war einerseits die Zugänglichkeit, welche durch das Klima oder aber durch Gebietsansprüche beeinflusst werden konnte. Andererseits hing die Bedeutung der Pässe auch vom Benützungsgrund ab. So wurden bei kriegerischen Aktionen, Schmuggel oder Gebietsstreitigkeiten auch beschwerlichere Übergänge genutzt, für friedlichen Verkehr und Handel hingegen die leichter begehbaren Routen (Gross 1975, 6).

Nebst der verkehrsgünstigen Lage waren die schon angesprochenen guten Möglichkeiten zur Nutzung landschaftlicher Ressourcen wie Weideland und Jagdwild Argumente für die Wahl dieses Untersuchungsgebietes. Die menschliche Präsenz konnte durch das Rückwege-Projekt sowohl für die Zeit der letzten Jäger und Sammler als auch der ersten Hirten ab dem 5. Jahrtausend v. Chr. und der nachfolgenden Zeitabschnitte in allen drei Tälern belegt werden.

Ausser der Eignung des Gebietes zur Untersuchung von Fragestellungen bezüglich des Themenkreises „Landschaftsnutzung“ war natürlich das Vorhandensein von permanenten Eisfeldern ausschlaggebend. Im Bereich zwischen ca. 2750 und ca. 3100 m.ü.M. sind hier über Permafrost zahlreiche kleinere (<100m), dauerhafte Eisfelder vorhanden.

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3. Methode

Die bereits eingangs erwähnten zwei Fragen standen am Beginn der Untersuchung:

  • Welche Faktoren beeinflussen die Erhaltung von Funden in Ice Patches und Gletschern bzw. die Erhaltung der Eiskörper selbst?
  • Welche Faktoren begünstigen das Vorhandensein von Funden mit Aussagekraft zu den Themenbereichen „Kommunikationswege“ und „Landschaftsnutzung“?

 

Das Vorgehen lässt sich grob in drei aufeinander folgende Arbeitsschritte gliedern:

Als erstes erfolgte, angelehnt an die wenigen vergleichbaren Untersuchungen (Farnell et al. 2004, Dixon et al. 2005, Vanderhoek et al. 2007a und 2007b), eine eingehende Recherche zu umweltspezifischen und kulturellen Faktoren, die die Fundwahrscheinlichkeit in einem Ice Patch in der untersuchten Region beeinflussen können. Anhand dieses Wissens wurde ein Kriterienkatalog erstellt. Dieser bildete die Grundlage für den letzten Arbeitsschritt: Die Kartierung und Modellierung mit GIS (Geographisches Informationssystem) sowie die Bewertung der so erzielten Ergebnisse.

3.1 Kriterienkatalog

3.1.1 Umweltspezifische Eigenschaften von Ice Patches und Gletschern

Ice Patches

(Quellen: Interview mit Prof. Dr. Wilfried Häberli vom geographischen Institut der Universität Zürich; ausserdem: Haeberli et al. 2004 – Farnell 2004, 249, 255 – Dixon et al. 2005, 131 – Vanderhoek et al. 2007, 76-77, 79 – Hafner 2009, 160, 164.)

Folgende Eigenschaften können die Funderhaltung in Ice Patches begünstigen:

  • Permanenz: Für die Untersuchung kommen nur permantente Ice Patches in Frage, die auch im Spätsommer Ende August/Anfang September noch bestehen und vermutlich altes Eis enthalten (Laut Prof. Dr. Häberli sei im Hitzesommer 2003 zum Teil Eis abgeschmolzen, welches 7000 Jahre existiert hatte).
  • Exposition: N-NW-exponierte Hänge sind in der Silvretta weniger Sonneneinstrahlung ausgesetzt, so wird die permanente Eisbildung begünstigt. S-SE-exponierte Hänge werden durch die starke Morgen- und Mittagssonneneinstrahlung deutlich wärmer, was sich negativ auf die Permanenz auswirkt.
  • Schattenlagen (z.B. durch Berggipfel).
  • Windzugewandte Seite (Luv): Der Wind kühlt den Boden ab und begünstigt so die Bildung von Permafrost.
  • Windabgewandte Seite (Lee): Grössere Akkumulation von Schnee durch Verwehung. In Kombination mit einer eher schattigen Lage kann dies die permanente Eisbildung begünstigen.
  • Hangneigung: Grundsätzlich fliessen Ice Patches nicht, da sie zuwenig Masse haben und am Boden festgefroren sind, weshalb die Hangneigung vernachlässigt werden kann.
  • Muldensituation: Eine solche begünstigt die Akkumulation von Eis (und auch von Gegenständen) und wirkt dem Aufschmelzen in warmen Sommern entgegen.
  • Höhenlage: Je höher ein Eisfeld liegt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in warmen Zeiten abschmilzt.
  • Masse: Je grösser die Masse eines Eisfeldes ist, desto weniger schnell schmilzt es ab und desto wahrscheinlicher ist die Konservierung alten Eises.
  • Lage ausserhalb der maximalen Gletscherausdehnung von 1850 (der grössten seit der letzten Eiszeit): Ice Patches innerhalb des Standes von 1850 könnten Überreste der damaligen Gletscher darstellen oder sich erst nach deren Rückzug gebildet haben. In einer Muldensituation ist es jedoch trotz der Überfahrung durch den Gletscher möglich, dass sich altes Eis erhalten hat. Solche Fälle müssen individuell beurteilt werden.

Gletscher

(Quellen: Interview mit Prof. Dr. Wilfried Häberli vom geographischen Institut der Universität Zürich; ausserdem: Haeberli et al. 2004 – Farnell 2004, 249, 255 – Dixon et al. 2005, 131 – Vanderhoek et al. 2007, 76-77 – Hafner 2009, 160 – Maisch 1992a&b.)

Gletscher sind grundsätzlich weniger als Fundarchive geeignet, da sie schnell fliessen und somit nur maximal einige hundert Jahre altes Eis enthalten. Durch die starke Dynamik des Eises können mögliche eingeschlossene Gegenstände beschädigt oder umgelagert werden. In einzelnen Fällen sind aber auch Gletscher als Fundarchive viel versprechend:

  • Eisfluss: Günstig ist langsamer Eisfluss aufgrund kleiner Masse oder schwacher Hangneigung, z.B. auch in Kuppenlage. So könnte auch das Eis eines grösseren, auf zwei Seiten fliessenden Gletschers im Scheitelpunkt praktisch an Ort und Stelle bleiben und altes Eis bewahren.

3.1.2 Kulturelle und topographische Faktoren: Themenbereich „Kommunikationswege“

Verschiedene Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit auf Funde, die im Kontext von Mobilität und Kommunikation zu deuten sind. Nachfolgende Faktoren wurden für die vorliegende Arbeit, im Rahmen der zeitlichen und quellenbedingten Möglichkeiten, einbezogen:

  • Nähe zu historischen und modernen Wegen: Passübergänge sind als markante Punkte zu sehen, wo sich Wege aufgrund der Topographie „kanalisieren“. Entlang dieser sich aus dem Kartenmaterial und der Topographie erschliessenden Kommunikationskorridore ist ein erhöhtes Fundaufkommen zu verzeichnen (VanderHoek et al. 2007, 79. – Dixon et al. 2005, 134. – Hafner 2009, 168-169).
  • Nähe zu Fundstellen: Die nähere Umgebung eines Lagers, einer Alm oder einer Siedlung ist ein wahrscheinlich intensiv begangener Bereich der Landschaft. Es ist dort folglich mit einem höheren Fundniederschlag zu rechnen. Eine Site Catchment-Analyse könnte beigezogen werden.

3.1.3 Kulturelle und biologische Faktoren: Themenbereich „Jagd“

Auch die Wahrscheinlichkeit von Hinterlassenschaften aus dem Bereich der Jagd werden von bestimmten Faktoren beeinflusst. Folgende sollen einbezogen werden:

  • Jagdterritorien, Nähe zu Lagerstellen: Saisonale oder kurzzeitige Jagdlager sind für die Prähistorie sowohl in den Alpen generell als auch im Untersuchungsgebiet mehrfach nachgewiesen (Reitmaier 2010). Gestützt auf raumplanerisch-ethnographische Studien (Kompatscher 1996, 31f.) kann der Nahbereich um eine Fundstelle, welcher sich für eintägige Jagdzüge eignet, folgendermassen eingegrenzt werden: In ebenem Gelände ist innerhalb zweier Stunden maximal eine Distanz von 6.4 km in eine Richtung, in steilem Gelände eine Überwindung von max. 800 Höhenmetern zu bewältigen. Gebiete, welche mehr als 400 Höhenmeter unterhalb eines Ausgangspunktes, beispielsweise eines dokumentierten Lagerplatzes, liegen, werden ausgeschlossen. Es ist anzunehmen, dass von hochgelegenen Rastplätzen aus primär die hochalpine Stufe als Jagdgebiet erschlossen wurde (Kompatscher 1996, 31f.). Der von Kompatscher ebenfalls untersuchte Fernbereich von Jagdterritorien (das Gebiet, welches innert mehrtägiger Jagdzüge von einem Punkt aus erreichbar ist), wird hier nicht berücksichtigt. Er würde das gesamte Untersuchungsgebiet umfassen.
  • Wildtier- bzw. Jagdwildterritorien: Einige Wildtierarten ziehen sich im Sommer auf der Flucht vor der Hitze und der Insektenplage auf Eis- und Schneefelder zurück. Dort können sie besonders leicht gejagt werden. Das in der Silvretta vorkommende, grössere Jagdwild (Gams, Steinbock und Rotwild) hält sich zu den verschiedenen Jahreszeiten in unterschiedlichen Höhenlagen auf. Einzelne Arten haben auch Präferenzen bezüglich Sonnenexposition und Topographie (Quellen: Nievergelt 1966, 54ff. - Steinbock; Haller 2002, 104 - Rotwild; Schnidrig-Petrig 2009, 72ff. - Gams).

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4. Auswertung

Die Auswertung der zusammengetragenen Daten orientiert sich am Kriterienkatalog, wobei sich im Laufe der Auswertungsarbeiten einige der Faktoren bezüglich der Aussagekraft oder Modellierungsmöglichkeit als ungeeignet erwiesen und im Folgenden ausgeschlossen wurden.

Ein Grossteil der recherchierten Angaben und Werte wurde mit Hilfe des Programms ArcGIS von der Firma ESRI modelliert. In einigen Fällen erwies sich die manuelle Auswertung jedoch sowohl zeitlich als auch methodisch naheliegender.

Im Falle der GIS-gestützten Analysen wurde für die einzelnen Kriterien jeweils ein Layer generiert, der dann für eine abschliessende Gesamtbeurteilung in Kombination mit anderen Layern ausgewertet wurde.

4.1 Umweltspezifische Eigenschaften von Ice Patches

Mit Sicherheit ein wichtiger Faktor für die Beurteilung der möglichen Permanenz eines Ice Patches ist die Exposition gegenüber Sonne und Wind. Im Falle der Silvretta ist eine Ausrichtung nach NW (meist Nordwestwind) besonders vorteilhaft für eine beständige Akkumulation resp. Massenerhaltung, während südöstlich ausgerichtete Ice Patches deutlich instabileren Bedingungen ausgesetzt sind (vgl. Kapitel 3.1.1).

Aus diesen Informationen liess sich leicht ein Layer generieren, welcher die begünstigenden Expositionen repräsentiert. Um die Flächenangaben etwas auszuweiten, wurden Zonen mit einer Exposition von W bis NE berechnet.

Der Faktor Höhenlage wurde ebenfalls berechnet. Die Modellierung wurde in drei Höhenstufen unterteilt (2600-2750, 2750-3000 und 3000+ m ü. M. Abb. 6). Ice Patches, die unterhalb von 2600 m.ü.M. liegen, gelten als kritisch bezüglich der langjährigen Permanenz.

Abb. 5: Hangexposition W-NW-N-NE kombiniert. Grundlage bildet jeweils das DHM 25 Höhenmodell von Swisstopo.

Abb. 6: Darstellung der Höhenlagen. Blassblau: 2600-2750m.ü.M., hellblau: 2750-3000m.ü.M., dunkelblau: 3000+m.ü.M.

Ein letzter und äusserst wichtiger umweltspezifischer Faktor ist die Maximalausdehnung der Gletscher um 1850 (vgl. Kapitel 3.1.1).

Für den in der Schweiz gelegenen Teil des Untersuchungsgebietes wurden für die vorliegende Arbeit Shape-Files des Gletscherstandes von 1850 zur Verfügung gestellt, während aus dem angrenzenden österreichischen Gebiet lediglich Daten aus dem Jahre 1969 erhältlich waren. Dieser Mangel wurde mittels einer manuellen Kartierung der Ice Patches mit Hilfe einer Karte aus dem Jahre 1869 (Unterengadin 1869, Abb. 7) soweit als möglich ausgeglichen. Diese Karte ist nicht exakt massstabsgetreu, die topographischen Merkmale der Landschaft sind jedoch gut mit jenen auf der heutigen Karte zu korrelieren, weshalb manuell eine relativ genaue Gletscherausdehnung kurz nach dem Maximum festgehalten werden kann (siehe Abb. 8).

Abb. 7: Karte des Unter-Engadin von 1869. Ausschnitt.

  Abb. 8: Darstellung der maximalen Gletscherausdehnung von 1850. Auf der österreichischen Seite wurden die Daten durch eine Umzeichnung der Gletscherstände auf der Unter-Engadin-Karte von 1869 ergänzt.

4.2 Kommunikationswege

Für einen Vergleich unterschiedlicher Passroutenführungen in historischer Zeit hat sich insbesondere das Kartenmaterial der letzten 150 Jahre als hilfreich erwiesen, während ältere Karten aufgrund ihrer Ungenauigkeit grösstenteils nicht verwendet werden konnten.

Die einzelnen Routen wurden mit unterschiedlichen Farben auf digitalisierten Karten nachgezeichnet, so dass diese nebeneinander auf die aktuelle 1:25000 Landeskarte projiziert werden konnten. Wenig erstaunlich ist, dass ausschliesslich die heute noch gebräuchlichen, in Kapitel 2 genannten Übergänge bezeichnet wurden, und die Routen weitgehend parallel oder nahe beieinander verlaufen. Dennoch sind aber insbesondere rund um die Fuorcla da Tasna auch einige Abweichungen in der Wegführung klar zu beobachten (Abb. 9).

Abb. 9: Digitale Umzeichnung von Wegen und Verkehrsrouten aus historischen Karten.

Im Unterschied zur vorangegangenen Weganalyse basiert die GIS-Berechnung einzig auf den topographischen Gegebenheiten des Geländes. Es wurde jeweils ein Punkt in der Talsohle der drei aneinandergrenzenden Täler frei gewählt und dann mit den anderen Punkten über die Funktion ‚shortest pathway’ in Verbindung gesetzt. Die resultierenden Linien bezeichnen den aufgrund der effektiven Distanz und Steigung idealsten Verbindungsweg zwischen den drei gewählten Punkten (Abb. 10).

Die Auflösung des digitalen Höhenmodells von 25 Metern birgt die Problematik, dass beispielsweise ein Grat zwischen zwei Steilhängen aufgrund der Auflösungsunschärfe vom Programm als potentielle Wegstrecke ausgeschlossen wird. Andererseits entspricht die heutige Geländeoberfläche aufgrund unterschiedlicher Erosions- und Vergletscherungsprozesse ohnehin nicht prähistorischen Verhältnissen. Die grobmaschige Auflösung könnte deshalb womöglich sogar als Korrektiv wirken.

Das Ziel der Weganalysen war es, einen Mobilitäts- und Kommunikationskorridor umreissen zu können, in dessen unmittelbarem Bereich sich potentiell vermehrt Funde zu ebendiesem Themenkomplex ermitteln lassen. Dazu wurde die Kombinationskarte historischer Wege mit der topographisch errechneten Wegführung zusammengeführt und in einen 2D-Layer umgewandelt (Abb. 11). Darin sind sämtliche Zonen, die durch irgendeinen Weg abgedeckt sind, enthalten.

Abb. 10: Wegberechnung mit der „shortest pathway“-Funktion. Abb. 11: 2D-Layer aller möglichen Wege.

Die Nähe zu Fundstellen im Untersuchungsgebiet wurde von uns ebenfalls als positiv eingestuft und sollte in einem weiteren Layer visualisiert werden (siehe Kap. 3.1.2 und 3.1.3). Die Site Catchment-Modellierung auf Basis von 2 Stunden Gehzeit in alle Richtungen von den bisher bekannten Fundstellen aus deckt jedoch fast das ganze Untersuchungsgebiet ab (Abb.12) und beeinflusst so im Prinzip das Fundpotenzial aller Ice Patches positiv. Aus diesem Grund haben wir diesen Layer in der Endauswertung nicht mehr berücksichtigt.

Abb. 12: Site catchment-Modellierung um die bekannten archäologischen Fundstellen.

4.3 Tier- und Jagdterritorien

In die Berechnung der Wildtierterritorien wurden ausschliesslich Rotwild, Gams und Steinbock (Abb. 13) einbezogen. Aus Mangel an präzisen prähistorischen Angaben wurden die Eckwerte für die Modellierung aus den heutigen Verbreitungsgebieten rekonstruiert.

Abb. 13: Visualisierung der einzelnen Tierterritorien. V.l.n.r.: Gams, Rotwild, Steinbock.

Abb. 14: Layer aus der Kombination aller drei Tierterritorien.

Die errechneten Territorien fallen einerseits aufgrund der Grenzwerte (im Untersuchungsgebiet sind bspw. nur wenig Flächen unter 2450 m.ü.M. gelegen) oder aber aufgrund der Kombination mehrerer Werte (Gams im Vgl. zu Steinbock) unterschiedlich gross aus. Während das Rotwildterritorium für diese Untersuchung vernachlässigbar scheint, zeigt der Steinbock eine potentielle Verbreitung über das ganze Gebiet – abgesehen von den Talsohlen und Gipfelbereichen.

Auf die Beurteilung des spezifischen Fundpotentials einzelner Ice Patches wirkt sich die Nähe oder Lage in einem dieser Tierterritorien positiv aus. Aus diesem Grund werden die drei Flächen übereinander gelegt – sozusagen zusammengerechnet - um einen einzigen Layer für den Faktor „Tierterritorien“ zu erhalten (Abb. 14).

4.4 Kartierung der Ice Patches

Als Grundlage für die Kartierung der Ice Patches dienten die digitalen Luftbilder SWISSIMAGE von Swisstopo aus dem Jahr 2008. Sämtliche Verdachtsflächen wurden in maximaler Grösse und Auflösung betrachtet. Da die Bilder im Spätsommer aufgenommen wurden, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sämtliche nicht permanenten Eis- und Schneefelder bis zu diesem Zeitpunkt abgeschmolzen und somit nicht mehr sichtbar waren. Ice Patches lassen sich aus der Luft im Zweifelsfall zudem durch eine stärkere Konturierung im Randbereich entlang der Topographie und eine feine Bänderung von temporären Schneefeldern abgrenzen. Für die Kartierung wurde eine topographische Karte unter das Luftbild gelegt. Muldensituationen wurden zusätzlich hervorgehoben (in Abb. 15 mit Sternen gekennzeichnet), da wir solche als besonders positiv für die Erhaltung einstufen (siehe Kapitel 3.1.1).

Abb. 15: Kombination der Gletscherausdehnung von 1850 mit allen kartierten Ice Patches (Punkte). Diese wurden nach der Lage in vier Gruppen eingeteilt: 1. Ice Patches, die deutlich im Bereich des Gletscherhöchststandes von 1850 liegen (weiss). 2. Ice Patches im Randbereich des Gletscherhöchststandes von 1850 (weniger starke Fluss-/Druckdynamik) (gelb). 3. Ice Patches im Bereich von Gletscherkuppen (zwei Richtungen innerhalb des Eiskörpers vermindern die Fluss-/Druckdynamik) (orange). 4. Ice Patches ausserhalb des Gletscherhöchststandes von 1850 / „true ice patches“ (rot). Sterne bezeichnen Muldensituationen.

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5. Resultate

Für die Endauswertung wurden nun die einzelnen generierten Layer mit den kartierten Ice Patches zusammengeführt. Die Bewertung der Eisfelder erfolgte anhand der visualisierten Schnittmengen bzw. -flächen mit den Layern und schlug sich in einem Zahlenwert für das Fundpotenzial nieder (Kapitel 5.1 und 5.2). Das Endresultat bildet schliesslich eine kommentierte Prioriätenabfolge sinnvoll gebildeter Gruppen für die Prospektion (Kapitel 5.3).

5.1 Ausschliessender Faktor Gletschermaximum

Der wichtigste und in unserem Falle einzige ausschliessende Faktor ist das Gletschermaximum von 1850. Er ermöglicht eine sinnvolle Vorauswahl. Deshalb erfolgte als erstes ein Abgleich aller kartierter Ice Patches mit dem Layer der Gletschermaxima. Aufgrund ihrer Lage wurden die Ice Patches in vier Gruppen eingeteilt (vgl. Abb. 15).

Wir entschieden uns, für die weitere Auswertung nur noch die Ice Patches aus der vielversprechendsten Gruppe der „True Ice Patches“ sowie einige wenige aus den anderen Gruppen, deren Lage in einer Mulde ebenfalls erhöhtes Erhaltungs- und Fundpotential verspricht, zu verwenden. Vor allem im Hinblick auf eine effiziente Prospektion wurden die „True Ice Patches“ in hauptsächlich auf topographischer Nähe basierende Gruppen eingeteilt.

Abb. 16: Ice Patches in Kombination mit dem Layer Hangexposition. Abb. 17: Ice Patches in Kombination mit dem Layer Höhenlage).

5.2 Begünstigende Faktoren

Nacheinander wurden die insgesamt 4 Layer, die das Fundpotential begünstigen, über die „True Ice Patches“ gelegt (Abb. 16-19). Dabei wurden den einzelnen Ice Patches je nach Lage innerhalb der verschiedenen begünstigenden Flächen Werte vergeben. Die Layer mit Umweltfaktoren wie Höhenlage und Exposition ergaben je 1 Punkt, der kulturell-biologische Faktor Tierterritorien 2 Punkte und die Kommunikationskorridore 3 Punkte. Letztere wurden von uns so hoch bewertet, weil in ihnen im Vergleich zu den anderen kulturellen Faktoren vermutlich alle zeitlichen Epochen repräsentiert sind. Die umweltspezifischen Faktoren wurden tiefer bewertet, da die Erhaltung eines Ice Patches situationsbedingt auch von der Regel abweichen kann; z.B. aufgrund einer speziellen topographischen Lage auch in einer tiefen Höhenzone altes Eis vorhanden sein kann, und wir nicht von vorneherein zu viele potentielle Archive ausschliessen wollten. So ergab sich für jeden Ice Patch am Schluss ein gesamthafter Zahlenwert, der in Abb. 20 mit Helligkeitsabstufungen dargestellt ist (je grösser der Rotanteil der Punkte desto höher der Wert, desto grösser die Überschneidung mit begünstigenden Faktoren, desto grösser das Fundpotential).

Abb. 18: Ice Patches in Kombination mit dem Layer Tierterritorien. Abb. 19: Ice Patches in Kombination mit dem Layer der Wegbereiche.

5.3 Prospektionsempfehlungen

Die für die Prospektion gebildeten Ice Patch-Gruppen A-O wurden nun aufgrund der einzelnen Werte und der gesamthaften Beurteilung ihrer Ice Patches in eine Rangfolge gebracht, die wir als Prioritätenabfolge für die Prospektion empfehlen (Abb. 20).

1. Priorität erhalten die Gruppen A, C, G und J. Argumente sind einerseits der hohe Gesamtwert der einzelnen Patches, die Lage im Passbereich bei A und J, die Lage auf der Talroute bei G sowie die grosse Zahl von Muldensituationen (Sterne). Bei jenen der 2. Priorität, zu denen wir die Gruppen B, D, F, L und M zählen waren neben den z.T. hohen Einzelwerten wiederum eine Passnahe Lage (D), eine Muldensituation (B) sowie die grosse Zahl von Ice Patches auf kleinem Raum (L und M), die effizient prospektiert werden können. Als 3. Priorität eingestuft wurden schliesslich die Gruppen E, H, K, N und O. Wir schlagen vor, zusätzlich zu den „True Ice Patches“ jene Ice Patches, die zwar vermutlich einmal unter einem Gletscher lagen, sich jedoch in einer vorteilhaften Muldensituation befinden (in Abb. 15 mit orangen, gelben und weissen Sternen bezeichnet), ebenfalls zu untersuchen.

Abb. 20: Gesamthafte Bewertung der Ice Patches inklusive der Gruppen A-O für die Prospektion. Je mehr Rot die Punkte für die Ice Patches enthalten desto höher ist ihr Fundpotenzial.

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6. Ausblick

Im Hinblick auf die geplante Überprüfung unserer Prospektionsempfehlung im Sommer 2011 gilt es einige Punkte besonders hervor zu streichen. Zunächst sollten nicht nur die von uns als „1. Priorität“ eingestuften Ice Patches begangen werden. Es ist wichtig, dass auch Eisfelder niedriger Priorität untersucht werden, um festzustellen, ob die am Schreibtisch erstellte Einschätzung mehr oder weniger den real vorgefundenen Verhältnissen entspricht. Erst dann kann über den praktischen Nutzen einer solchen Kartierung befunden werden.

Da die hier benutzen Luftbilder bereits einige Jahre alt sind, ist davon auszugehen, dass sich die Form und Grösse der Ice Patches weiter verändert hat bzw. einige gar nicht mehr vorhanden sind. Bewuchsfreien (flechtenfreien) Zonen um die Ice Patches, in welchen das Eis erst kürzlich abgeschmolzen ist, gilt deshalb ein ebenso wichtiges Augenmerk wie den Eisfeldern selbst. Sie sollten im Gelände gut sichtbar und so gezielt begehbar sein.

Sehr vorteilhaft wäre die Teilnahme ausgewiesener Ice Patch-Experten an der Begehung. Da altes Eis nicht nur ein Archiv von archäologischem, sondern auch paläobiologischem und klimatologischem Interesse darstellt, könnten mit einem interdisziplinär geschulten Team weitaus umfassendere Daten gerettet werden.

Das so während der Feldbegehung gewonnene Wissen könnte in künftige Kartierungen einfliessen. Falls diese Art der Prospektionsvorbereitung weiterverfolgt werden sollte, lohnte es sich, den hier vorgestellten Kriterienkatalog vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Feld zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Auch die Visualisierung der im Katalog zusammengestellten Kriterien im GIS könnte noch weiter ausgebaut werden.

Sollten bei der Begehung Funde zum Vorschein kommen, müssten die Ice Patches in den kommenden Jahren wiederholt untersucht werden. Wie die Situation am Schnidejoch belegt (Suter et al. 2005), ist es nicht möglich, alle Funde im Zuge einer einzigen Begehung zu bergen. Ein Grund dafür ist die unter Umständen unterschiedliche Massenbilanz von Ice Patches. Ist diese positiv (in kalten, schneereichen Wintern), wächst das Eisfeld, wodurch noch nicht geborgene Funde wieder zugedeckt werden. Ist sie negativ, schrumpft das Eisfeld und neue Funde werden freigegeben.

Ein ideales Zeitfenster für die Begehung der Ice Patches bietet sich von Ende August bis Anfang September. Dann ist die Ausaperung von Eisfeldern und Gletschern am weitesten fortgeschritten und Funde sollten, falls vorhanden, sichtbar sein. Die jeweils aktuelle Wetterlage ist nach Möglichkeit bei der Festlegung eines Zeitfensters zu berücksichtigen. Sommerliche Schneefälle könnten einer Feldbegehung ein jähes Ende bereiten. Der diesjährige Sommer scheint diesbezüglich bis jetzt allerdings unproblematisch. Es bleibt viel mehr zu hoffen, dass die prognostizierte Hitze (videoportal.sf.tv, 23.5.2011) nicht das Ende eines Grossteils der noch vorhandenen, alpinen Ice Patches bedeutet.

Abb.21: Vielversprechendes Eisfeld aus Gruppe A im Bereich des Futschölpasses. Seine Länge beträgt ca. 30m.

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7. Danksagung

Die in diesem Artikel verfassten Erkenntnisse wären ohne die Unterstützung folgender Personen nicht in dieser kurzen Zeitspanne von einem Semester zustande gekommen. Als erstes gilt unser Dank Herrn Dr. Thomas Reitmaier (Universität Zürich), der uns über die publizierte Literatur hinaus Einblick in sein laufendes Forschungsprojekt „Rückwege – Hochalpine Archäologie in der Silvretta“  gewährte und uns zudem jeder Zeit für Fragen und Anregungen zur Seite gestanden hat. Des Weiteren sei Herrn Prof. Dr. Wilfried Häberli (Universität Zürich), Dr. Frank Paul (Universität Zürich) sowie Dr. Astrid Lambrecht (Universität Innsbruck) gedankt, welche uns mit Hinweisen und Daten zu der Beschaffenheit von Ice Patches und Gletschern sowie den Daten zu den historischen und modernen Gletscherständen auf schweizerischer und österreichischer Seite behilflich waren und diese zur Verfügung stellten. Herrn Dr. Albert Hafner (Archäologischer Dienst Kanton Bern) sei gedankt für Kopien schwer zugänglicher Literatur zu vergleichbaren Forschungen im nordamerikanischen und skandinavischen Raum sowie zu denen auf dem Schnidejoch. Für die Zurverfügungstellung der Geodaten, v.a. der digitalen Orthophotos sowie des Geländemodells von swisstopo, sei an dieser Stelle Herrn Ronald Schmidt (Universität Zürich) gedankt. Ein weiterer Dank gilt den Mitarbeitern der Kartensammlungen der ETH-Bibliothek Zürich sowie der Zentralbibliothek Zürich, namentlich Susanne Zollinger (ETHZ) und Thomas Germann (ZB Zürich). Ebenfalls gedankt wird Martin Sauerbier (MFB GeoConsulting) für die geleistete Hilfestellung bei unserer Site Catchment Analyse. Des Weiteren sei Lea Felber (Universität Zürich) gedankt, dass sie uns Einblick in ihre laufende Masterarbeit zur geomorphologischen Kartierung in der Silvretta (Plan da Mattun und Umgebung) im Rahmen des „Rückwege“-Projektes gewährte und uns erste wichtige Fragen beantwortete. Bezüglich der Wildtiervorkommen, des Wildtierbestandes und des Wildtierverhaltens sei vor allem dipl. geogr. Ruedi Haller und Prof. Dr. Heinrich Haller (beide  Schweizerischer Nationalpark) gedankt, die sich unserer Fragen angenommen, uns auf spezifische Literatur aufmerksam gemacht und diese zur Verfügung gestellt haben. In diesem Zusammenhang gilt auch Herrn Hannes Jenny (Amt für Jagd und Fischerei Graubünden) Dank.

Last, but not least gilt unser Dank den beiden Leitern des Forschungsseminars, Herrn Prof. Dr. Philippe Della Casa (Universität Zürich) und Herrn Prof. Dr. Karsten Lambers (Universität Bamberg), die uns bei Fragen und Problemen während den Seminarsitzungen und darüber hinaus behilflich waren und durch konstruktive Kritik unser Vorhaben weiter vorangetrieben haben.

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8. Quellenangaben

Literatur:

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Internet:

VIDEOPORTAL.SF.TV - http://www.videoportal.sf.tv/video?id=50a507e6-27fd-4367-be29-d8a2e542903d, 23.5.2011.

Historische Kartenwerke:

ATLAS MAIOR 1665 – Van der Krogt, Peter (Einf. und Texte), Atlas maior of 1665 / Joan Blaeu. Nach dem Orig. aus der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien. Mit einer Auswahl der Orig.-Texte von Joan Blaeu, Vol. 2 : Germania, Austria & Helvetia (Köln 2006).

NOVA HELVETIAE 1712 - Nova Helvetiae tabula geographica von 1712/1713 / Johann Jakob Scheuchzer, Manuskript ca. 1710 (Zürich, Zentralbibliothek, MK 800), Ca. 1:265 000.

NOUVELLE CARTE DU PAYS DES GRISONS 1724 - Nouvelle carte du pays de Grisons : avec ses dependances la Valteline, les comtés de Chiavenne, et Bormio =  : Rhæthia foederata cum subditis ei terris, Cluverius, Ph., Mortier, D., van Luchtenburg, J., Husson, P., Schmid von Grüneck, Ch., Ca. 1:310 000 - Amstelodami [Amsterdam] a.o 1716 und 1724.

RHAETIA FOEDERATA 1740-1760 - Rhaetia foederata cum confiniis et subditis suis Valle Telina, comitatu Clavennensi et Bormiensi, Walser, Gabriel, Silbereisen, Andreas, kein Massstab angegeben, Aug. Vind : Matth. Seutteri, nach 1740, In: Scheuchzer, Joh. Jakob. - Natur-Geschichte des Schweizerlandes, Zürich, 1746.

ATLAS SUISSE 1786-1802 - Atlas Suisse, Meyer, J.R., Weiss, J.H., Müller, J.E., Guérin, Ch., Eichler, M.G., Scheuermann, J.J. Ca. 1:120 000, Aarau 1786-1802.

UNTER-ENGADIN 1869 - Karte des Unter-Engadins : mit den nördlich, östlich u. südlich angrenzenden Theilen von Vorarlberg, Tyrol und Veltlin / bearbeitet von J.M. Ziegler, 1:50 000, Winterthur, Wurster, Randegger & Co, 1869.

DUFOURKARTE 1845-1864 - Topographische Karte der Schweiz : vermessen und herausgegeben auf Befehl der eidgenössischen Behörden / aufgenommen u. reduz. unt. d. Aufsicht d. Generals G.H. Dufour, 1:100.000, [S.l.], Bern 1845-1864, Nachführung bis 1939.

SIEGFRIEDKARTE 1891-1898 - Topographischer Atlas der Schweiz, unter der Direktion von Oberst H. Siegfried ; gestochen von H. Mühlhaupt ... [et al.], Bl. 416bis, 417, 420, 421. 1:25’000 & 1:50 000, Bern: Eidg. Stabsbureau, 1870-1949.

SAC-KARTE 1898 - Silvretta-Muttler-Lischanna : Excursionskarte des Schweizer Alpen-Club pro 1898 / Eidg. topogr. Bureau in Bern, 1:50 000, in: Jahrbuch des Schweizer Alpenclub ; Beilagen, Band 33 (1897/98), 1, Bern 1898.

ÖSTERREICH 1923 - Österreichische Karte 1:25 000,  ÖK 25, Wien : Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, 1923-1982.

WANDERKARTE FLAIG 1971 - Beilagenkarte zu Flaigs Gebietsführer für Wanderer und Bergsteiger der Silvretta, Vollständige Kartenrevision: 1971 u. 1974, 1:50 000, München 1985

WANDERKARTE PIZ BUIN 1994 - Silvretta-Hochalpenstrasse, Piz Buin : Wanderkarte

1:50 000, Wien, Freytag & Berndt, 1994.

WEGMARKIERUNGEN 1999 - Silvrettagruppe : Wegmarkierungen, 7. Ausg., 1:25 000, München : Deutscher Alpenverein, 1999

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