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Institut für Archäologie Prähistorische Archäologie

Das Schmiedehandwerk nördlich der Alpen von der Latènezeit bis ins Frühmittelalter

von Marianne Senn Bischofberger

 

Abstract: Die umfassende, transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Archäologie, Metallurgie und Chemie in dieser Arbeit hat es ermöglicht, ganz neue Einsichten in die Geschichte des Eisens, seiner Verarbeitung und Qualität im Gebiet der nordalpinen Schweiz vorzustellen.
Da alle Untersuchungen detailliert beiliegen (Kapitel 11.1-11.5), wird es auch späteren Generationen von Forschern möglich sein, die Resultate und die daraus gefolgerten Interpretationen zu überprüfen. Im Katalog finden sich vom metallurgischen Standpunkt aus gesehen zahlreiche, in modernen Werkstoffen kaum anzutreffende Gefügeanordnungen.
Durch die metallographische und chemische Untersuchung von Waffen (Schwertern und Lanzen) sowie Geräten (Messern) vorwiegend aus der Latènezeit sowie Schmiedeabfällen aus der Latènezeit, der römischen Epoche und dem Frühmittelalter konnten neue Erkenntnisse über die Rohmaterialien der Schmieden und die Schmiedetechniken im nordalpinen Raum gewonnen werden. Die Untersuchung an Messern, Lanzenspitzen und Schwertern des latènezeitlichen Brandopferplatzes von Wartau-Ochsenberg SG, ergänzt von Einzelfunden aus Gräbern und Gewässern der Westschweiz und des Mittellandes (Conthey-Daillon VS, Murtensee BE), füllen eine Lücke in der Technikgeschichte in der Spätlatènezeit. An hand dieser Untersuchungen ist es nun möglich, die Entwicklung der Schwertfertigung im nordalpinen Raum von der Früh- bis in die Spätlatènezeit zu formulieren.
Die Entwicklung der Schwertfertigung im nordalpinen Raum (Kapitel 4) beginnt mit den Schwertern aus dem Friedhof von Münsingen-Rain BE. Die metallographischen Untersuchungen zeigen, dass in der Frühlatènezeit vorwiegend dreilagige Schwerter in Gebrauch waren, die oft aus einem Verbund Eisen – härtbarer Stahl in Lagendamasttechnik verschweisst waren. In der Mittellatènezeit, erörtert an der Fundstelle La Tène NE, wurden Schwerter aus einem einzigen, harten Material, dem phosphorreichem Eisen häufig verwendet, neben solchen, die weiterhin in Lagendamasttechnik oder neu in Streifendamasttechnik verschweisst wurden. Die Schwerter der Spätlatènezeit waren komplex gefertigt, meist in Streifen verschweisst, die aber aus mehreren Lagen bestehen konnten. In allen werden mehrere Materialien – Eisen, härtbarer Stahl und phosphorreiches Eisen – zu einem Verbund verarbeitet. Die Waffen aus der Ostschweiz verfügten über harte oder gehärtete Klingen, während diejenigen aus der Westschweiz vergleichsweise weich waren. In der anschliessenden römischen Zeit waren die untersuchten Schwerter aus dem 1. und 3. Jahrhundert im Lagenbau, aber auch einfach aus phosphorreichem Eisen gefertigt. An Hand von Röntgenbildern lässt sich das Aufkommen der Torsionsdamasttechnik ab dem 3. Jh. n. Chr. an einem Fund aus Augusta Raurica nachweisen. Die frühmittelalterlichen Spathen wiederum waren oft aus mehreren tordierten Stäben im Kern und angesetzten, im einzigen untersuchten Fall eher weichen Schneiden, gefertigt. Für die Mittel- und Spätlatènezeit ist eine lokale bzw. regionale Produktion der Schwerter im nordostfranzösischen-nordalpinen Raum wahrscheinlich. Die römischen Waffen hingegen wurden in zentralen Manufakturen hergestellt, von denen sich keine im nordalpinen Raum befindet. Auch die einzige untersuchte, frühmittelalterliche Waffe stammt wahrscheinlich nicht aus einer Produktionsstätte im nordalpinen Raum, weil ihre chemi-sche Zusammensetzung keine Ähnlichkeit mit dem bisher bekannten, in diesem Raum gleichzeitig produzierten, Eisen aufweist.
Diese lokale Entwicklung spiegelt sich auch in den untersuchten Schwertern der Latènezeit aus Mitteleuropa wieder. Die Schwerter enthalten in der Frühlatènezeit im mitteleuropäischen Vergleich ebenfalls mehr härtbaren Stahl als in den nachfolgenden Phasen. Demgegenüber zeichnet sich die Mittellatènezeit durch eine Vielzahl einfach gefertigter Schwerter zumeist aus Eisen bzw. hartem, phosphorreichem Eisen aus. Dieser Bruch in der Entwicklung der Schwerter bedarf noch einer Erklärung. Sie ist sicher nicht nur darin zu suchen, dass Schwerter in der Mittellatènezeit Massenfunde auf Opferplätzen sind, denn der Ritus der Schwertniederlegung auf Opferplätzen bleibt auch in der Spätlatènezeit erhalten.
Wie sich die Technik der Lanzen- und Messerherstellung in der Latènezeit und später im Gebiet nördlich der Alpen entwickelte, lässt sich auf Grund der bisher durchgeführten Untersuchungen nicht rekonstruieren. Die sechs untersuchten mittel- bis spätlatènezeitlichen Lanzen wurden jedoch einfacher gefertigt als die Schwerter und bestehen oft aus einem Material, dessen heterogener Charakter ausgenützt wurde, um eine Blattschneide schärfer zu gestalten als die andere. Die fünf untersuchten, spätlatènezeitlichen Messer sind in der Fertigung eher mit den Schwertern vergleichbar, da sie oft in Lagendamasttechnik hergestellt und teilweise aus einem Verbund von zwei Materialien verschmiedet wurden.
Aus der Vielzahl der bis heute untersuchten Objekte lässt sich ableiten, dass in der Latènezeit und in der römischen Epoche Eisen und nicht härtbarer Stahl meist von härtbarem Stahl und phosphorreichem Eisen unterschieden werden konnten. Phosphorreiches Eisen wurde auf die gleiche Weise wie härtbarer Stahl eingesetzt, und war möglicherweise ab der Mittellatènezeit ein kostengünstiger Ersatz für letzteren.
Durch die Untersuchung der Schmiedeabfälle ist es gelungen, Form und chemische Zusammensetzung des Rohmaterials der drei untersuchten Schmieden aus der Spätlatènezeit, der römischen Epoche und dem Frühmittelalter zu bestimmen. Für das Frühmittelalter gelang es anschliessend, erste Kennzeichen typischer Eisen- und Stahlsorten der nordalpinen Schweiz herauszuarbeiten.
In der spätlatènezeitlichen Schmiede im Oppidum von Rheinau ZH diente den Schmieden gut gereinigter und fertig verschmiedeter, cobaltreicher Stahl mit einem geringen Kohlenstoffgehalt als Ausgangsmaterial (Kapitel 3.6.2). Aus diesem stellten sie u. a. kleine Werkzeuge für den Eigengebrauch her, was aus einer vergleichbaren, chemischen Zusammensetzung der Objekte geschlossen wurde.
In den Werkstätten des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. im Gutshof von Neftenbach ZH wurde Eisen, phosphorreiches Eisen und nicht härtbarer Stahl verarbeitet (Kapitel 3.6.3). Es war oftmals noch porös und mit viel Schlacke durchsetzt. Es ist wahrscheinlich, dass diese Werkstätten neben Stabeisen auch Spitzbarren als Ausgangsmaterial verwendeten, weil der Verarbeitungsgrad des Metalls im Spitzbarren oft noch dem Ausgangszustand im Eisenschwamm (porös, schlackereich) entspricht. Das in Neftenbach ZH als Ausgangsmaterial bestimmte Eisen weist keine besonderen chemischen Merkmale auf, unterscheidet sich jedoch deutlich von demjenigen aus Rheinau ZH oder Develier-Courtételle JU. Als lokale, wahrscheinlich zum Eigengebrauch bestimmte Produkte, konnten an Hand der chemischen Zusammensetzung Flachmeissel und Schlossbestandteile ermittelt werden.
Die frühmittelalterlichen Werkstätten im Weiler Develier-Courtételle JU verarbeiteten vorwiegend Ei-sen und nicht härtbaren Stahl (Kapitel 3.6.4). An Hand der Schlacken in Form von Kalotten, die oft Metallschichten enthalten, und metallischen Abfällen, die als Eisenschwammfragmente interpretiert werden, konnte nachgewiesen werden, dass das Metall vor Ort ausgeheizt wurde. Beim Ausheizen stand dabei weniger das Schlackeaustreiben im Vordergrund, sondern das Kompaktieren des Metalls. Dies deshalb, weil nur wenige Kalottenschlacken chemische Anhaltspunkte dafür liefern, dass Verhüttungsschlacke an ihrer Bildung beteiligt war. Viele enthalten aber Metallschichten, die sich nur durcheinen Arbeitsgang mit grossem Eisenverlust wie dem Ausheizen erklären lassen. Da für das Frühmittelalter in dieser Region keine Handelsform des Eisens nachgewiesen ist und Develier-Courtételle JU in mitten des Verhüttungsbezirkes des zentralen Juras liegt, gilt es als sicher, dass hier Eisenschwämme als Ausgangsmaterial verwendet worden sind. Obwohl unter den Abfällen der Werkstätten härtbarer Stahl und Gusseisen häufiger vorkommen als Eisen und nicht härtbarer Stahl, finden sich unter den verarbeiteten Metallen fast ausschliesslich die beiden letzten Werkstoffe. Die Abfälle und das verarbeitete Metall weisen gemeinsame, chemische Merkmale auf (nickel-, arsen- und phosphorreich), aus denen sich eine Referenzgruppe ableiten lässt, an Hand derer sich die Produkte dieser Schmiede bestimmen lassen. Die chemischen Merkmale der Referenzgruppe lassen einen Zusammenhang zu den Bohnerzen des Delsberger Beckens erkennen und weisen Ähnlichkeiten mit der Zusammensetzung des Metalls vom Verhüttungsplatz Boécourt, Les Boulies JU, auf. Zwei der untersuchten Proben, die in ihrer chemischen Zusammensetzung von der Referenzgruppe abweichen, können mit der Verhüttung im Grandval JU in Zusammenhang gebracht werden. Develier-Courtételle JU ist damit der einzige Fundort, bei dem Rückschlüsse auf die Herkunft des verarbeiteten Metalls gezogen werden können. Auf Grund von Einzeluntersuchungen an Metallfunden von anderen, frühmittelalterlichen Verhüttungsplätzen im Jura und in den Alpen kann das Metall des zentraljurassischen Verhüttungsbezirkes chemisch von demjenigen anderer Verhüttungsregionen (Mont Chemin VS, Schaffhausen SH, Gonzen SG) abgegrenzt werden. Am deutlichsten ist dies an Hand der Nickel- und Cobaltgehalte, aber auch der Nickel/Cobalt-Verhältnisse möglich.
Auch die Grenzen der Herkunftsbestimmung mittels chemischer Analysen des Metalls werden aufgezeigt (Kapitel 3.5.7). Rennfeuereisen ist kein homogenes Metall und hat dementsprechend auch keine homogene chemische Zusammensetzung. Die Zusammensetzung wird von der heterogenen Zusammensetzung des Ausgangserzes, von thermischen und physikalischen Einflüssen während der Verhüttung und von der anschliessenden Bearbeitung beeinflusst. Trotzdem besitzt das Metall signifikante chemische Merkmale, die genutzt werden können, um Materialgruppen zu bilden, die dann mit einer bestimmten Herkunft verknüpft werden können. Am aussagekräftigsten in dieser Hinsicht haben sich in der vorliegenden Arbeit die Elemente Nickel und Cobalt erwiesen. Die Herkunftsbestimmung wird aber erst dann eindeutig, wenn gleichzeitig die chemische Zusammensetzung der Schlackeneinschlüsse untersucht wird, wie das Beispiel des Metalls zeigt, das der jurassischen Region des Grandvals zugeordnet wurde. Als weiteres Instrument zur Herkunftsbestimmung könnte in Zukunft die Blei-Isotopenanalyse an Erz und Metall dienen.
Mit den hier vorgestellten Methoden könnten sich in Zukunft überprüfen lassen, ob Rohstoffe wie Spitz-, Stab- und Schwertbarren, die typologisch einer Gruppe angehören, auch chemische Merkmale aufweisen, die auf eine gemeinsame Herkunft schliessen lassen. Daneben wäre es äusserst interessant, die frühmittelalterliche und mittelalterliche Eisenproduktion im nordalpinen Raum noch umfassender chemisch zu charakterisieren und sich anschliessend auf die Suche nach den daraus hergestellten Produkten zu machen. Es müsste sich dabei um typologische Gruppen von gleichzeitig gefertigten Eisengegenständen handeln, deren Verbreitungsschwerpunkt sich in diesem Gebiet befindet.

 Publikation(en):  Senn Bischofberger, M. (2005)
 Weiterführende Links: www.vml.de/d/detail.php?ISBN=3-89646-405-1&hl=schmiedehandwerk

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